NaNoWriMo – National Novel Writing Month 2016

NaNoWriMo: Schreiben statt kritzeln – © 2013 Christoph Seiffert

Der Hash-Tag #NaNoWriMo wird üblicherweise ab Oktober verstärkt verwendet und findet im November größte Verbreitung, denn das ist der „National Novel Writing Month“, der Nationale Monat des Romanschreibens. Verbirgt sich dahinter nur so eine Art WeightWatchers für prokrastinierende Möchtegern-Schriftsteller oder doch eine gute Idee, mit der dieselben endlich mal in die Tasten hauen können?

Die meisten Autoren scheitern mit ihren Bemühungen nicht an der Verlagssuche, sondern daran, erst mal überhaupt etwas fertig zu bekommen. Sie scheitern, weil sie sich vorm Anfangen drücken. Oder vorm Weitermachen. Sie scheitern, weil sie zu viele wesentlich wichtigere Sachen zu tun haben und deshalb nicht dazu kommen. Sie scheitern an zu langen Unterbrechungen, nach welchen sie vor dem eigenen Manuskript sitzen, das so fremd erscheint, als hätte es ein anderer geschrieben.

Im Grunde genommen scheitert der potentielle Romanautor damit an denselben Problemen, an welchen auch die meisten anderen Menschen mit ihren anderen Vorhaben wie Weiterbildung, regelmäßigem Sport oder gesünderer Ernährung scheitern: Ein Vorhaben, muss konkret formuliert und für einen konkreten Termin geplant werden, um zu gelingen.

Sagt man „ich sollte mal etwas für meine Gesundheit tun“, wird es nichts, denn wie soll man überprüfen, ob man erfolgreich „etwas“ getan hat? Und vor allem innerhalb welcher Zeit? Es fehlt das Was und das Wann. Wenn ich sage, „ab morgen nehme ich nicht mehr den Aufzug“, sieht es schon besser aus.

Die Regeln des NaNoWriMo

Der NaNoWriMo, der Nationale Monat des Romanschreibens antwortet darauf, indem er für das Schreiben ein Was und Wann definiert. Stellvertretend für alle Schreibprojekte rief Chris Baty 1999 zunächst mal einen Termin aus, welcher 2000 dann auf den trüben November verschoben und auch mit einer konkreten Anforderung kombiniert wurde:

Alle Teilnehmer des NaNoWriMo setzen sich seither das Ziel, innerhalb eines Monats einen Roman mit mindestens 50.000 Worten zu schreiben (Was). Mit dem Schreiben beginnen sollen sie dabei nicht vor dem 01.11.; fertig sein müssen sie am 30.11. um 23:59 (Wann). Wer sich den Regeln des NaNoWriMos unterwerfen will, hat also ein messbares Ergebnis innerhalb einer klar definierbaren Zeit vorzulegen. Wie beim Verzicht auf den Aufzug wird man also klar sagen können, ob man die Aufgabe erfüllt hat, oder nicht.

Aber was für eine Aufgabe das ist! 50.000 Worte! Angesichts einer durchschnittlichen deutschen Wortlänge von 5,7 Buchstaben sind das 285.000 Tastenanschläge! Zuzüglich Satz- und Leerzeichen! Und das in 30 Tagen?

Die Psychologie des NaNoWriMo

„Siehst Du, Momo“, sagte [Beppo Straßenkehrer] dann zum Beispiel, „es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.“

Dass Michael Ende seinen Beppo in „Momo“ (1973) hier die Wahrheit sprechen lässt, merken meine Schüler und sicherlich auch viele andere angehende Autoren recht schnell. Doch benötigen sie dennoch meist einen (nicht ganz so) „schweigsamen Alten“, um ihnen die psychischen Mechanismen zu vermitteln, welche hier am Werke sind. Weiter heißt es:

Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: „Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, daß es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“

Es sind genau diese psychischen Mechanismen, auf welche auch der NaNoWriMo reagiert, denn zu einem erfolgreichen Vorhaben gehört nicht nur ein klar definiertes Was und Wann. Drei weitere wichtige Ideen stecken hinter dem NaNoWriMo:

  • Erstens lassen sich große Aufgaben am einfachsten in Angriff nehmen, wenn man sie als eine Folge kleiner, überschaubarerer Aufgaben auffasst.
  • Zweitens lassen sich langwierige Aufgaben am leichtesten bewältigen, wenn man kontinuierlich dran bleibt.
  • Und drittens lassen sich die Hürden und Durststrecken, welche in der Lösung jeder umfangreichen Aufgabe stecken, am besten durchstehen, wenn man weiß, dass man damit nicht alleine ist, sondern sich auch andere mit diesen Herausforderungen konfrontiert sehen.

Einen Teil davon wusste auch schon Michael Endes Straßenkehrer:

Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muß nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“

Im Falle des NaNoWriMo heißt das, dass man sich nicht mit der Aufgabe quält, einen ganzen Roman zu schreiben, sondern eben immer nur an das Stück denkt, welches am aktuellen Tag dran ist. Und bei 30 Tagen für 50.000 Worte sind das nur 1666,6 Worte oder etwas weniger als vier Seiten (oder etwas mehr als dieser Text mit seinen 1.286 Worten).

Die Kritik am NaNoWriMo

Das Erste, was man angesichts des NaNoWriMo als Kritik vorausahnt oder von einer inneren Stimme zugeschrien bekommt, ist, dass das ja nur ein Krückstock, eine Veranstaltung für Hobby-Autoren und sonstige Möchtegerns sein könne. Erst schreibe man gemeinsam wie in der Gruppentherapie und nachher bekomme jeder, der es durchhält, auch noch eine Siegerplakette.

Hic Rhodos, hic salta, kann ich da nur sagen! Hobby oder nicht bleiben die Hürden für einen Autoren ja dieselben. Und so wenig solches Elitendenken dabei hilft, Aufgaben zu lösen, so sehr helfen unsere psychischen Mechanismen. Vor allem in Form eines Erfolgserlebnisses. Mit oder ohne Siegerplakette.

Eine etwas gewichtigere Kritik ist jene, welche das eventuelle Qualitätsproblem von unter Zeitdruck entstandenen Texten in den Blick rückt. Sie ist richtig und falsch zugleich:

  • Erstens erlaubt es der NaNoWriMo, sich auch schon vor dem 01.11. Gedanken über seinen Stoff zu machen, sodass man nicht aus dem hohlen Bauch mit einem Projekt beginnen muss, sondern vielmehr – und gerade – eine liegengebliebene Idee aus der Schublade ziehen kann.
  • Zweitens ist die Wahnvorstellung, eine erste Textfassung sei druckreif, eben nur das: eine Wahnvorstellung.

Es geht beim NaNoWriMo also nicht darum, innerhalb 30 Tagen die Arbeiten an einem Roman abzuschließen, sondern darum, eine erste Textfassung zu erstellen, welche man dann im Dezember überarbeiten kann. Deswegen sind Qualitätsmängel zunächst mal kein Problem. Natürlich ist es einfacher und weniger aufwendig, eine hoch qualitative erste Fassung zu bearbeiten als eine schnell hingeworfene – aber eine schnell hingeworfene hilft dennoch mehr als eine, die nie fertig wird.

Ein zu hoher Anspruch an sich selbst – bekannt als Innerer Kritiker – ist schließlich einer der häufigsten Stolpersteine, an welchen Autoren scheitern: Man denkt zu lange nach und verwirft zu oft, anstatt einfach erst mal zu schreiben und später zu sehen, wo zu feilen ist. Ein weiterer wichtiger Vorteil des NaNoWriMo besteht gerade im Verschieben der Qualitätszweifel des Inneren Kritikers, weil der Zeitdruck ihm gar keinen Raum zugesteht.

Der Aufruf zum NaNoWriMo

Zögert man nämlich einen Tag, anstatt jene – allen Künstlern eigenen – Selbstzweifel Selbstzweifel sein zu lassen, verliert man beim NaNoWriMo 1/30 seiner Zeit. Stattdessen darf man sich nicht kirre machen lassen, sondern wird durch den Projektrahmen motiviert, einfach anzufangen und fortzufahren.

Das Gleiche gilt natürlich auch für die Teilnahme am NaNoWriMo selbst. Klar klingt die Veranstaltung zunächst vielleicht ein bisschen so, als wäre das nichts für einen selbst. Oder als passe es nicht zu der Idee, die man eigentlich schon lange mal hatte umsetzen wollen – ist sie nicht zu unausgereift, zu lang, zu irgendwas?

Auf der anderen Seite war jetzt schon immer ein guter Zeitpunkt, um endlich anzufangen. Und da kann so ein äußerer Rahmen vielleicht ganz förderlich sein. Zum Beispiel wegen der beschriebenen psychischen Mechanismen.

Und wer sich jetzt überlegt, dass das alles vielleicht ein bisschen plötzlich – und vor allem plötzlich mit so viel Zwang, endlich aktiv zu werden, verbunden ist –, muss sich nur mal Folgendes überlegen: Angenommen, der- oder diejenige hat noch 30 Jahre (nur um der Zahlenspielerei willen; hoffentlich sind es mehr), um seine Romane zu schreiben, hätte er schon 1/30 seiner Zeit verloren, wenn er erst nächstes Jahr beim NaNoWriMo mitmacht.

Mehr Informationen und mehr Unterstüzung durch die Crowd findet man hier: nanowrimo.org

Zitate aus Michael Ende: „Momo“, viertes Kapitel: © 1973 K. Thienemann Verlag, Stuttgart
Verwendetes Bild: © 2013 Christoph Seiffert | flickr.com.

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