Studie kritisiert einseitige Berichterstattung zur Willkommenskultur

Refugees Welcome in Berlin © 2016 Sven-Kåre Evenseth

Eine Studie der Hamburg Media School kritisiert, dass die deutsche Presse und insbesondere die Leitmedien in ihrer Berichterstattung über die Flüchtlingspolitik und -situation einseitig berichtet habe. Ein paar Überlegungen.

In einer Studie hat die Hamburg Media School (HMS) die Berichterstattung der Medien zur Flüchtlingsthematik untersucht. Der Leiter des Projektteams der noch unveröffentlichten Forschungsarbeit, Prof. Dr. Michael Haller, hat nun vorab einige Thesen formuliert, welche sich auf die bisher erhobenen Daten stützen – die eigentlichen Ergebnisse werden erst im Herbst veröffentlicht.

In der F.A.Z. berichtete Ursula Scheer darüber, auch die Huffington Post hat das Thema (unter Berufung auf die F.A.Z.) schon aufgegriffen. Ansonsten findet sich noch keine Berichterstattung über das Thema – die Informationslage ist also noch äußerst dünn.

Von der F.A.Z. stärker betont, von der Huffington Post zurückgenommen, wird in diesen Veröffentlichungen unter Berufung auf Haller kritisiert, dass die Medien in Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik auftretende Probleme zunächst „übersehen“ hätten – scheinbar ein Zitat Hallers. Stattdessen seien sie jenem von der Politik lancierten „Narrativ“ der Willkommenskultur gefolgt.

Die bisher bekannten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die Berichterstattung zur Flüchtlingsthematik nahm in den Jahre 2009 bis 2015 zu.
  • 2009 bis 2014 wurden 15.000 Artikel zum Thema Flüchtlinge veröffentlicht.
  • Allein 2015 waren es 19.000 Artikel zum Thema.
  • 82 % der Artikel seien positiv konnotiert gewesen.
  • 12 % hätten sich neutral gehalten.
  • 6 % schließlich hätten das Thema problematisiert.

Nachrichten beschaffen und verbreiten, Meinungsbildung fördern

Seit dem Zweiten Weltkrieg gilt bei uns die Trennung von Meinung und Information. Artikel in der Presse sollten also nicht positiv oder negativ konnotiert sein, sondern objektiv informieren. Das Formulieren von Meinungen muss in gesonderten meinungsbetonten journalistischen Darstellungsformen erfolgen.

Zwei Probleme treten in diesem Zusammenhang auf, selbst wenn man diese Trennung strikt einhält: Einerseits ist es eine rhetorisch alt bekannte Tatsache, dass eine ungefärbte Vermittlung von Information praktisch kaum möglich ist. Andererseits kann schon die Auswahl von und die gezielte Suche nach Themen in diesem Themenfeld eine Wertung enthalten.

Ersteres Problem kritisiert Haller nun mit seinem Hinweis auf die positive Konnotation der Berichterstattung. Er hebt auch hervor, dass die Tagesschau zu 20 % und Der Spiegel zu 40 % positiv gefärbt gewesen sei. Zweiteres Problem wird angesprochen, indem darauf verwiesen wird, dass überwiegend über die Willkommenskultur und ihre Erscheinungsformen berichtet worden sei, während Berichte über Probleme wie die Überforderung der Behörden lediglich etwa ein Drittel ausmachten.

Wie solch eine Färbung aussieht, kann man übrigens an dem F.A.Z.-Artikel selbst ganz gut erkennen. Es lohnt sich durchaus die Frage, welche Meinung der Artikel eigentlich in uns bilden möchte.

Meines Erachtens wertet er es als journalistischen Fehler, dass die deutsche Presse in Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik positiv konnotierte anstelle von neutraler Berichterstattung leistete, und er impliziert zugleich den Vorwurf, das Abbild der Wirklichkeit sei in den Medien verfälscht worden, indem Teile der Wirklichkeit „übersehen“ worden seien, um die Wirklichkeit an ihr Wirklichkeitsbild anzupassen.

Woran man diese Konnotationen festmachen kann? Vor allem an dem Satz, dass Haller die positiven Auswirkungen des kritisierten Verhaltens der Medien gerade „[j]enseits der Frage“ thematisiere, „ob der Journalismus damit seiner Rolle als kritischer Beobachter gerecht wurde“. Dass diese Frage von Haller also nicht gestellt wird, moniert die Autorin recht unverhohlen. Die zweite meiner Einschätzungen kann ich anhand des Begriffs des „Narratives“ belegen, denn dabei handelt es sich um eine Art der Äußerung, welche dem Zweck dient, Erlebtes zu kategorisieren, also in Schubladen zu schieben. Implizit ist diese Wortwahl daher so zu verstehen, die Medien hätten nur über das berichtet, was zu der von ihnen vertretenen Meinung passte.

Meines Erachtens zielt der Artikel somit darauf ab, uns zu suggerieren, dass derjenige Teil der Berichterstattung, welcher ein positives Bild der Ereignisse in Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik zeichnete, zumindest unzuverlässig oder verfälschend, weil verfärbend sei. Mithin wird damit möglicherweise die konservative Sicht gestütz, die Flüchtlinge brächten überwiegend Probleme.

Wertung nach zweierlei Maßstäben

Nun ist das an sich nicht verwerflich, denn jeder darf diese Meinung vertreten. Verwerflich ist einerseits, dass der Artikel damit genau das betreibt, was er kritisiert: Er wertet und er färbt, wo er eigentlich nur informieren sollte. Und es stellt sich sogar ein bisschen die Frage, ob nicht eine bewusst einseitige Informationsauswahl vorliegt, weil irritierenderweise das fehlt, was Haller über die Berichterstattung der F.A.Z. zu sagen hat – warum?

Vor allem aber stellt der Artikel durch jene von Haller ignorierte Frage, „ob der Journalismus damit seiner Rolle als kritischer Beobachter gerecht wurde“, die sachlich unrichtige Behauptung auf, die Medien dürften sich nicht selbst eine Meinung zu eigen machen und diese verbreiten. Richtig ist lediglich, dass diese Meinung erkennbar von der Information getrennt werden soll.

Einzuordnen, eine Stellungnahme abzugeben und in anderer Weise an der Meinungsbildung mitzuwirken, ist laut den Landespressegesetzen in den allermeisten Bundesländern ja sogar als Aufgabe der Presse vorgeschrieben – in Baden-Württemberg heißt es in §3:

Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe, wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.

Gemäß der notwendigen Trennung dieser Aufgaben muss in diesem Zusammenhang wohl noch festgehalten werden, dass mit Meinungsbildung hier das Angebot von Deutungsmustern in meinungsorientierten Artikeln gemeint ist, nicht das Durchmischen mit und Färben von Information, denn das wäre Meinungsmache.

Mögliche Ursachen für den Meinungsüberhang in der Berichterstattung

So viel also zu meiner Kritik an der F.A.Z., eine Kritik, die ich selbst übrigens mit Informationen über den Artikel und die voraussichtlichen Ergebnisse der Studie vermischt habe, indem in diese Informationen meinem Kommentar beigab – nicht meine Meinung einem Informationstext (siehe die Ankündigung, hierbei handele es sich um „Überlegungen“). Überlegen möchte ich mir jetzt noch, worin dieses postulierte „Narrativ“ begründet liegen könnte.

Ich könnte mir vorstellen, dass tatsächlich eine meinungsbildende Selbstauffassung der Journalisten zu diesem Ergebnis beigetragen hat, insofern die Medienvertreter versuchten, Themen zu finden und mit ihnen eine stumme Mehrheitsmeinung auszudrücken, welche der hinterwelterischen und mithin fremdenfeindlichen Haltung eines kleinen, lauten Teils der Bevölkerung entgegenwirkt.

Problematisch könnte hier auch der Generalverdacht gewirkt haben, welchen man sich in Deutschland aussetzt, wenn man fremdenkritisch oder fremdenwirkungskritisch ist. Gut sehen kann man das am Begriff „Obergrenze“. Selbstverständlich gibt es eine Obergrenze für die Zuwanderung. Weil aber diejenigen, welche den Begriff für sich reklamieren, damit Zahlen im fünfstelligen Bereich verbinden, wurde der Begriff für realitätsnähere Verwendungen diskreditiert.

Kombiniert man die letzten beiden Punkte – meinungsbildende Selbstauffassung und Generalverdacht –, kann eine solche scheinbar flächendeckende Erscheinung möglicherweise erklärt werden.

Mögliche Lösungen für eine nachrichtenneutralere Meinungsbildung

Die Frage wäre noch, was die objektivere Alternative ist. Sicherlich muss man die – in manchen Medien leider sowieso völlig verkommene – Tugend der Trennung von nachrichtlichen, also informierenden und meinungsorientierten Darstellungsformen wieder einführen.

Aber schon die Diskussion darüber, wann dazu erwähnt werden darf oder soll, welcher Nationalität oder Abstammung eine betroffene Person ist, ohne unbillig zu färben, zeigt, dass damit noch keine Problemlösung erreicht ist. Zu dieser Frage hat der Deutsche Presserat im Deutschen Pressekodex die Richtlinie 12.1 formuliert, welche besagt, dass:

die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt [werden soll], wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Wie also berichten, ohne zu färben? Für die Nationalitätenfrage hat sich die Sächsische Zeitung beispielsweise unterdessen entschieden, entgegen dem Pressekodex die Herkunft immer zu erwähnen – auch bei Deutschen. Steffan Niggemeier diskutiert dies auf Übermedien.

Soll also auf die journalistische Auswahl bei solchen Einzelinformationen verzichtet werden? Sollen alle Nationalitäten genannt werden? Oder noch überspitzter: Hätte die F.A.Z. statt einiger repräsentativer Presseorgane mit ihrem jeweiligen Anteilen gefärbter Berichterstattung alle nennen sollen? Sicherlich nicht. Und noch mal: Es wird nicht gelingen eine völlig ungefärbte Berichterstattung zu betreiten.

Und wenn das schon bei der Formulierung nicht geht, so doch wenigstens bei den Themenwahl? Einfach über alles berichten? Oder beim Blattmachen darauf achten, dass genauso viele negative Begleiterscheinungen der Flüchtlingssituation erwähnt werden wie positive? Sicherlich ebenso wenig. Die Themenwahl soll die Wirklichkeit repräsentieren und die Interessen der Leser befriedigen. Sie soll anteilig nachrangigere Aspekte der Wirklichkeit ebenso nicht übergewichten wie nicht unberücksichtigt lassen.

Etwas anderes würde der gesellschaftlichen Aufgabe des Journalismus nicht gerecht werden. Ob dies in Zusammehang mit der Flüchtlingsthematik geschehen ist oder nicht, kann die Studie der Hamburg Media School im Herbst vermutlich gar nicht beantworten, weil sie das Bild in den Medien, nicht die Wirklichkeit untersucht hat.

Bei aller berechtigert Kritik, was unzulässige journalistische Färbung angeht – welche, wie ich gezeigt habe, auch die F.A.Z. betreibt –, muss es am Schluss wohl eine Meinungs- oder Einschätzungsfrage beleiben, ob das zunächst bestehende Übergewicht einer positiven Berichterstattung berechtigt war oder nicht. Und das ist natürlich auch eine Frage, die viel damit zu tun hat, ob ich den Medien vertraue: Frage ich, ob sie das abbilden, was ich für die Wirklichkeit halte, oder erlaube ich ihnen, mein Wirklichkeitsbild zu hinterfragen?

Verwendetes Bild: © 2016 Sven-Kåre Evenseth.

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